Eine Katastrophe hätte es werden können

Frankfurt-Eschersheim, 30.12.2020, gegen ca. 6:30 Uhr: Es war nur eine S-Bahn, die entgleiste. 10 Menschen wurden gerettet. Sie fuhr in Schrittgeschwindigkeit Richtung Station Eschersheim, nur Schrittgeschwindigkeit, weil Bauarbeiten, die einen Tag zuvor begannen sämtliche Züge abbremsten.

Zum Glück!

Noch 2 Tage vorher rauschten ICE’s und Güterzüge diese Strecke entlang. Was wäre, wenn … nicht auszumalen.

Viele Bäume wurden gerodet um diesen Teil der Strecke für den Ausbau vorzubereiten. Wurzeln, die Jahrzehnte den Damm zusammenhielten, wurden entfernt oder verrotten.

Der Damm wurde durch Injektionen über Teile der Strecke stabilisiert, allerdings nur bis kurz vor der Unglücksstelle.

Das Bild zeigt einen roten, senkrechten Strich. Links der Markierung wurden Injektionen
in den Damm eingebracht. Rechts davon nicht.

Zudem wurden im Zuge der Dammarbeiten und der Errichtung der Baustraßen umfangreiche Abgrabungen vorgenommen, ohne dass ein Verbau, also eine Abstützung und Sicherung des Grabens, erfolgte.

Außerdem fanden noch im Dezember 2020 genau im Bereich der Absackung des Dammes erschütterungsintensive Bauarbeiten statt.

Was war konkret passiert: Der Damm unter den Gleisen war abgerutscht. Die S6 war glücklicherweise nur mit 10 Fahrgästen besetzt und wegen der Baustelle nur mit Schrittgeschwindigkeit unterwegs. Daher kam die S-Bahn sofort zum Stehen und es war auch nur ein einziges Drehgestell entgleist. Auch war die Unfallstelle sehr gut über die Niedwiesenstraße zu erreichen. Dennoch dauerte allein die Evakuierung der wenigen Personen – die mittels Drehleiter durch die Feuerwehr gerettet werden mussten – geschlagene zwei Stunden. Und die Bergung der entgleisten S-Bahn zog sich immerhin über eineinhalb Tage hin.

Kurz vor dieser Hangrutschung war der Damm an dieser Stelle durch Bagger angeschnitten worden, ohne die notwendigen Stützmaßnahmen zu ergreifen. Übrigens ist so während der gesamten Baggerarbeiten am kilometerlangen Damm verfahren worden, obgleich das Aktionsbündnis BAhNANE bereits in den Anhörungen beim Regierungspräsidium Darmstadt in Anwesenheit von Bahn und Eisenbahnbundesamt darauf aufmerksam gemacht hatte, dass ein sog. Gleislängsverbau bei den geplanten Baumaßnahmen unerlässlich sei.

In einem Protokoll der DB-Netz aus Mai 2015 heißt es wörtlich:

Im Bereich der Dammverbreiterung können die durch den Betrieb der beiden vorhandenen Gleise auftretenden Kräfte nicht abgefangen werden. Zusammen mit den Richtlinienautoren wurden alle möglichen Alternativen geprüft. Wenn beide Bestandgleise in Betrieb bleiben sollen, ist zurVermeidung der Gefahr eines Böschungsbruchsein Verbau neben dem Betriebsgleis einzubringen.“

Der Anwalt der Bahn schrieb dazu im August 2017: „Aufgrund erweiterter Bodenuntersuchungen wurde festgestellt, dass in weiten Teilen der Streckenführung eine Bodenverbesserung im Untergrund durchzuführen ist und der anstehende Bahndamm durch einen Verbau zu befestigen ist.“

Im gesamten Ausbaubereich wurden beide Bestandsgleise in Betrieb gehalten, so auch am Tag der Entgleisung. Von Verbau jedoch keine Spur.

Heißt dass nun, man muss auch an anderen Stellen der Strecke mit weiteren Rutschungen und Entgleisungen rechnen, weil kein Verbau vorgenommen wurde? Nach Ansicht des Aktionsbündnisses ein klares JA.

Und wie würde ein Unfall aussehen, wenn nicht eine S-Bahn mit Schrittgeschwindigkeit, sondern ein mit Gefahrgut beladener Güterzug bei vollem Tempo entgleisen würde? Nicht auszudenken.

Würden denn die Einsatzkräfte überhaupt in angemessener Zeit an die Unfallstelle gelangen können? Ein klares NEIN. Bereits jetzt hatte es zwei Stunden gedauert, bis die Personen aus der gut zugänglichen S-Bahn befreit werden konnten. Künftig werden aber bis zu 6 m hohe Lärmschutzwände die Gleise beidseits einhausen. Wie kommt man dann überhaupt noch an die Unfallstelle, v.a. wenn gefährliche Flüssigkeiten und Gase ausgetreten sind und es zu einem Brand kommt? Und wie schnell könnte man die Menschen aus einem Personenzug retten, der in einen solchen Unfall involviert wäre? Auch Hubschrauber wären aufgrund der Oberleitungen nicht einsetzbar. Es würde folglich Stunden oder gar Tage dauern, bis man an die Unfallstelle gelangen und geeignete Rettungs- und Sicherungsmaßnahmen ergreifen könnte. Die möglichen Auswirkungen auf die Passagiere, die Anwohner und die Umwelt wären verheerend.

Man stelle sich nur vor, dies würde mitten in Eschersheim, z.B. am Hochhaus am Ende der Niedwiesenstraße, passieren. Weit hergeholt? Keinesweg! In der Nacht zum 24.11.1976 kam es just an dieser Stelle bereits zu einem schweren Auffahr­Unfall zweier Güterzüge.

Foto der Unfallstelle 1976 vom Hochhaus aus geschossen

Glücklicherweise hatten die Güterzüge seinerzeit kein Gefahrgut geladen.

Aber muss für so ein Ereignis nicht eigentlich ein Notfallkonzept her, v.a. wenn eine Strecke durch dicht besiedeltes Gelände führt und ausgebaut wird? Dies regelt die Richtlinie „Anforderungen des Brand- und Katastrophenschutzes an Planung, Bau und Betrieb von Schienenwegen“ des Eisenbahnbundesamtes. Dennoch wurde ein solches Konzept seitens der DB nicht vorgelegt.

Das fehlende Konzept monierte BAhNANE ebenfalls im Rahmen der mündlichen Verhandlungen beim Regierungspräsidium. Darauf antwortete der DB-Anwalt lapidar: „Es ist freilich offenkundig, dass Einzelheiten des Feuerwehrkonzepts einem sofortigen Baubeginn … nicht entgegenstehen.“ Im Klartext: Während der Bauphase nimmt man das nicht so genau, das lässt sich alles später regeln. Das gerade während der Bauphase erhebliche Risiken bestehen, hat sich nun offenbart.

In Zukunft sollen auf dieser Stecke 100 und mehr Güterzüge pro Tag fahren. Die Gefahr eines Unfalls in dicht besiedelten Wohngebieten wird damit um ein Vielfaches erhöht.

Gefahrguttransporte, die bei einem Unfall ganze Ortschaften kontaminieren oder die Bevölkerung auslöschen könnten, sind kein überdramatisiertes Szenario.

Das Foto zeigt einen Waggon von sechs mit Chlor beladenen Güterwagen in Okarben auf seinem Weg Richtung Frankfurt.





Das orangefarbene Schild hat folgende Bedeutung:

Gefahrnummer:

2 = Gefahr des Entweichens von Gas durch Druck oder chemische Reaktion

6 = Gefahr durch Giftigkeit oder Ansteckung

5 = Oxidierende (brandfördernde) Wirkung

UN-Nummer:

1017 = Chlor

Bei einem Austritt eines solchen Gases, das im 1. Weltkrieg als chemische Waffe eingesetzt wurde, besteht eine Letalität (Sterblichkeit) von 98%

Quellen:
https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/48855.pdf

https://www.youtube.com/watch?v=fE_lFpY3eb4

https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/chlortransporte-durch-dichtbesiedeltes-gebiet?urn=urn:srf:video:b22fe97d-46d3-4856-86ea-62b8ce86e465&aspectRatio=16_9

Das Eisenbundesamt sieht sich, obwohl Aufsichtsbehörde, für den Ausbau nicht verantwortlich.

Die Deutsche Bahn verweist auf lapidare Pressemitteilungen, als sei das Entgleisen eines Zuges täglich Brot.

Daher stellen sich folgende Fragen:

– Wer kontrolliert hier eigentlich die Bahn?

– Ist die Sicherheit der Anlieger und Fahrgäste während der Bauzeit gewährleistet?

– Ist der Ausbau unter fahrendem Gleis überhaupt zu verantworten?

Im übrigen:

Auch für den zukünftigen Ausbau auf 4 Gleise gibt es für den Bereich der neuen Station Eschersheim noch kein Sicherheits- sowie Brandschutzkonzept.

Die Entgleisung hat gezeigt, dass die Strecke erhebliches Gefahrenpotenzial birgt. Daher fordert das Aktionsbündnis einen sofortigen Bau- und Betriebsstopp, eine Belastbarkeitsprüfung der gesamten Strecke und die Entwicklung und Offenlegung eines geeigneten Notfallkonzepts.